JvM Green Papers #3
Bundesrepublik Bildschirm
Der Wert von Telco-Brands in der Krise der sozialen Distanzierung
Themenexpertise:Telekommunikation, Online, Digital
Wer am 6. April nach „Weltwirtschaftskrise“ gegoogelt hat, fand das Jahr „2020“ auf Platz 3 des Autovervollständigungsalgorithmus. Platz 1 und 2 belegten die Jahre 1929 (Great Depression) und 2008 (Weltfinanzkrise). Kaum eine Branche, die heute nicht direkt oder indirekt betroffen ist. Ausnahmen findet man insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel und in der Telekommunikation, wo der Konsum überwiegend weiterläuft. Beide sind systemrelevant im Isolationsalltag. Menschen müssen essen und kommunizieren. Das ist die neue Basis der Maslowschen Bedürfnispyramide.
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Download Artikel (PDF, 162 KB)Besonders die Telekommunikation schafft sozialen Wert – dort wo Menschen jeden Alters trotz Social Distancing digital in Verbindung bleiben, dort wo sie Videochats für Wine-Tasting und für Spieleabende nutzen oder aus dem Homeoffice heraus ihre Arbeitskraft bereitstellen.
Was seit Jahren die Vignetten der Telco-Spots dominiert, ist mit einem Schlag Realität geworden: Willkommen in der Bundesrepublik Bildschirm.
ALLTAG IM DIGITALEN DEUTSCHLAND.
Paul: Unser gesamter Alltag wurde in den Bildschirm übertragen – leben wir nun im digitalen Deutschland?
Robert: Wir leben in der sozialen Distanzierung – physikalisch wie mental. Die schlagartige Verschiebung ins Digitale ist die Nebenwirkung des Hausarrests. Die eigenen vier Wände können wir zwar sehen, doch die Echokammer unserer Filter-Bubble nicht.
Paul: Welche Rolle spielen Filter-Bubbles in dieser Situation?
Robert: Sie sind Sinnbild der Konflikte in unserer Gesellschaft. Jetzt, wo wir uns ausschließlich im digitalen Raum austauschen und Menschen ein verstärktes Bedürfnis haben, sich mitzuteilen, wird das noch stärker sichtbar als bisher.
Paul: Umso ironischer finde ich, zu sehen, wie sich dabei die Standpunkte ändern. Noch vor einigen Wochen waren es die Jungen und Progressiven, die die Oma als „alte Umweltsau“ ermahnten, an die Zukunft zu denken. Einige Tweets später fragt sich genau diese Oma, weshalb ihre Enkel ungeachtet der zuvor beschworenen Wissenschaft Corona-Partys feiern, statt an das Allgemeinwohl zu denken.
Robert: In den USA gibt es den Generationenkonflikt mit umgekehrten Vorzeichen. Kinder versuchen, ihre „Fox News“-informierten Eltern davon zu überzeugen, dass Covid-19 kein linksliberaler Hoax ist und sie bitte ihren Florida-Urlaub abbrechen sollen. Aus der eigenen Filter-Blase auszubrechen bleibt ein schier unüberwindbares Hindernis.
Paul: Ist das nicht eine Chance für Telekommunikation-Brands, sich als Experience-Provider zu positionieren? Jetzt, wo so vieles vorerst verschwunden ist, fragen sich Menschen doch zwangsläufig, was ihnen wirklich fehlt. Sollten Werteversprechen da nicht endlich konsequenter umgesetzt werden?
TELCO-BRANDS ALS EXPERIENCE-PROVIDER.
Robert: Für eine Telco-Brand ist das Ermöglichen von Erfahrungen kein besonderes Unterscheidungsmerkmal. Klar geht es darum, Menschen mit ihren Liebsten, Teams mit ihren Kolleginnen und Kollegen und Neugierige mit Content zu verbinden. Aber das Werteversprechen an alle entsteht aus dem Vorteil für jede Einzelperson. Das ist keine neue Positionierung. Und wenn man mehr gesellschaftliche Verantwortung wagt, stoßen auch diese Marken an die Wände ihres Resonanzraums. Wenn ein Kampagnenfilm, der ein emanzipiertes Frauenbild propagiert, von den eigenen Facebook-Followern beklatscht wird, prasseln auf YouTube trotzdem die Hasskommentare nieder.
Paul: Daran sieht man doch, dass Kommunikation allein nicht vermitteln kann. Awareness-Kampagnen bilden ja nur ein Teil der Markenerfahrung. Wenn Leistungs- und Werteversprechen nicht übereinstimmen, entsteht ein Experience-Gap. Das ist ein Faktor, der Marken schwächt. Das gilt jetzt noch mehr – wenn Bereiche wie Telco unter Volllast stehen und erhöhte Aufmerksamkeit erfahren.
Robert: Der Stresstest fordert von diesen Marken aber auch einen kommunikativen Shift. Weg von der Consumer-Brand – hin zur Corporate Brand. Die Frage ist doch: „Was tun wir in diesen Zeiten, um Stabilität zu schaffen?“ Und dieser Verantwortung kommen die Player ja gerade auch nach.
Paul: Jein. Auf dem Höhepunkt der Krisenkommunikation mag das stimmen. Doch die Welt nach Corona wird jetzt neu verhandelt. Social Distancing erhöht die Anzahl fehlender Verbindungen zwischen Menschen. Das betrifft nicht nur Videocalls, sondern auch die Wertewelt der Marken – insbesondere die, deren täglich Brot die Verbindung von Menschen ist.
MARKEN UND IHRE WERTEWELT IN DER POST-PANDEMIE.
Robert: Und doch sprechen wir über Unternehmen der Wirtschaft und nicht über NGOs. Marken sind ein Spiegel der Gesellschaft und dadurch relevant. Ihre Aufgabe ist es, Konsumentinnen und Konsumenten zu verstehen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Und da vollzieht sich doch gerade auch ein sehr positiver Wandel, etwa das große Comeback von Zahlen und Fakten.
Paul: Das ist in der Tat positiv. Was jüngere Generationen heute prägt, ist nicht nur purer Eskapismus wie die unterhaltsame Seite der Nerd-Kultur oder TikTok, sondern auch Gleichberechtigung und Wissenschaft. Die Klima-Bewegung hat das Fundament gelegt, auf dem Corona nun aufbauen kann. Beide spiegeln das Spannungsfeld aus rationalen und emotionalen Werten wider.
Robert: Man könnte meinen, dass das Perpetuum mobile der Populisten in der algorithmusbasierten Medienwelt für eine Sekunde zum Stillstand gekommen sei. An ihrer Stelle werden die Vertreter von komplexen Wahrheiten, wie etwa der Virologe Prof. Drosten, zu Medienstars für Non-snackable Content. Der Wert des Wissens feiert seine Renaissance, und noch nie wurde in Deutschland so häufig „Virologie Studium“ gegoogelt.
Paul: Ist das nicht auch als Beleg für mehr Wahrhaftigkeit und Transparenz zu verstehen und dafür, beispielsweise auf werbliche Überhöhung zu verzichten? Wollen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht lieber den durchschnittlichen Speed ihrer Leitung als den temporären Höchstwert kennen?
Robert: Ich bin mir sicher, dass diese Krise die Konsumentenwelt dauerhaft verändert. Der Impact von gutem Content, Digital Literacy und langfristigen Brand-Experiences wird weiter steigen. Aber die Natur von Werbung ist davon nur indirekt betroffen.
Paul: Beim Thema Experience sind wir uns einig. Ich glaube, dieser Shutdown und der Fakt, dass wir uns so stark mit uns und unserer Familie beschäftigen, führt dazu, dass wir Konsum in Zukunft wieder bewusster wahrnehmen.
Hinweise darauf, kann man in Amazons Search-Ranking sehen. Vor dem Shutdown waren Airpods und andere Bluetooth-Kopfhörer an der Spitze. Jetzt werden die Charts nicht nur von Toilettenpapier, sondern auch von 1.000-Teile-Puzzeln beherrscht.
Aber lass uns doch mal ganz konkret werden. Welche fünf Handlungsempfehlungen geben wir den Telco-Brands dieser Welt?
FÜNF KONKRETE HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN.
Robert: Das Markenerlebnis in Communities zu stärken ist der beste Schutz vor Commoditisierung. Versorgungssicherheit war noch nie so „sexy“. Die Rechnung ist einfach: Dort, wo neue Verbindungen entstehen, steigt der Wert einer Telco-Brand.
Paul: Werte versprechen sollten deutlich umfangreicher in die Tat umgesetzt werden. Das heißt, spätestens jetzt auch ältere Menschen ins digitale Zeitalter zu führen, selbst jene, die noch nie einen Computer benutzt haben. Chinesische Rentnerinnen und Rentner, die mit dem Smartphone bezahlen, zeigen, dass es geht.
Robert: Wer heute aktiv zuhört, hat morgen die richtigen Antworten. Jetzt wo sowohl Nutzung als auch Mitteilungsbedürfnis auf dem Höchststand sind, geht es um Daten. Die uniformierten Generationenbriefings, ob Millennials oder Generation Z, müssen hinterfragt werden. Erste Anzeichen für die Existenz neuer Fragestellungen sind schon sichtbar. Wer jetzt trotz Ausnahmezustand die Ressourcen findet, Daten zu explorieren, verschafft sich einen echten Insight-Vorteil.
Paul: Es wird Zeit, den „Experience-Gap“ zu schließen. Wenn Kommunikation und Service keine Abgrenzung mehr zueinander haben, können sie Beispiel für ein wahrhaft integriertes Arbeiten sein. Dort, wo beide Seiten unabhängig voneinander handeln, wird immer eine Lücke sein.
Robert: Start-Ups von der Klippe ziehen. Noch vor Kurzem war Venture-Capital leicht zu haben, wodurch nicht nur zukunftsfähige Start-ups aus der Taufe gehoben wurden. Jetzt stehen einige der vielversprechendsten Konzepte vor dem Abgrund. Die Innovation-Hubs der Telco-Player sollten die Chance nicht verpassen, auch hier neue Verbindungen zu knüpfen.