JvM Green Papers #10
INDUSTRIAL BRANDS
HIGH ON QUALITY, LOW ON EMOTION.
Themenexpertise:Marken
Warum erkennen so viele Industrieunternehmen in Deutschland das Potenzial ihrer Marken nicht? Die Industrie glaubt noch an Märchen!
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Download Artikel (PDF, 211 KB)Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, muss man in der Industriegeschichte etwas zurückgehen: Ende des 19. Jahrhunderts in Großbritannien eingeführt, sollte die Herkunftsbezeichnung „Made in Germany“ britische Verbraucher vor minderwertiger Importware aus Deutschland schützen. Der Plan der Briten ging auf, aber anders als gedacht: Die Qualität deutscher Erzeugnisse stieg, ihre Kennzeichnung entwickelte sich im 20. Jahrhundert zum Synonym für Qualität und Verlässlichkeit und wurde so zur Kollektivmarke deutscher Hersteller. Bis heute gilt die „German Brand“ als stärkste Nationenmarke der Welt.
Doch der Sonderbericht des Edelman Trust Barometers 2019 belegt: Die Wirtschaftsskandale der letzten Zeit haben das Vertrauen in deutsche Firmen stark beschädigt. Gleichzeitig haben andere Nationenmarken aufgeholt. Das hat Gründe: Zum einen bieten Unternehmen insbesondere aus Asien inzwischen hochwertige Produkte zu günstigeren Preisen. Zum anderen wird die wichtigste Kompetenz unserer Zeit, die Digitalkompetenz, deutschen Unternehmen nicht im selben Maße zugetraut wie Mitbewerbern aus China und den USA.
Das hat Konsequenzen: Gute Produkte „Made in Germany“ allein reichen nicht mehr aus, um als „Global Player“ zu gelten. Deutschland braucht Innovationen. Und die deutsche Industrie braucht starke Marken, die ihre Kompetenz und ihre sehr guten Produkte im globalen Wettbewerb erfolgreich(er) vermarkten.
Industriemarken: Hidden Champions und gesichtslose Riesen.
In Unternehmen wie Mercedes-Benz oder adidas ist Marke schon lange Chefsache. Warum? Weil sie der größte Unternehmenswert ist. Allein die Brand Equity der deutschen Autobauer entspricht in Summe mehr als 120 Milliarden US-Dollar. Doch obwohl Deutschlands Verbrauchermarken zu den wertvollsten der Welt gehören, werden mehr als 70 Prozent der deutschen Handelsumsätze nicht von ihnen, sondern von exportorientierten B2B-Marken – mit Maschinen, Elektrotechnik, Software oder Chemiewaren, also mit typischen Industriegütern – erwirtschaftet. Diese Markengruppe nenne ich: Industriemarken.
Für diese Industriemarken ist die nachlassende Kraft von „Made in Germany“ eine große Bedrohung, denn diesem kollektiven, starken Image verdanken sie nicht zuletzt ihren jahrzehntelangen Erfolg. Gleichzeitig nutzt die Industrie ihre eigenen Marken am wenigsten: Der Bundesverband Industrie Kommunikation e. V. hat kürzlich belegt, dass deutsche B2B-Unternehmen 10 Prozent weniger für Marketing ausgeben als der internationale Durchschnitt. Nachvollziehbar ist das nicht.
Ich möchte hier nun zwei Arten von Industriemarken unterscheiden:
Die einen nenne ich „Hidden Champions“: Mittelständische, oft inhabergeführte Unternehmen, die es unter dem Radar der Öffentlichkeit zur Weltmarktführerschaft in einer Nische gebracht haben. Für diese Spezialisten ist Marke reine Kennzeichnung – nur die überragenden Produkte zählen. Der eigene Erfolg lässt Hidden Champions glauben, dass sie sich nicht mit ihrer Marke auseinandersetzen müssten. Dabei haben Marken gerade im globalen Nischenwettbewerb der Tech-Economy eine enorm wichtige Funktion – sie wirken als Markteintrittsbarriere gegen günstigere Mitbewerber, als Talentmagnet und als Türöffner in fremde Märkte.
Die anderen nenne ich „die gesichtslosen Riesen“: Sie sind keine Spezialisten, sondern Alleskönner. Sie sind die Schwergewichte der deutschen Wirtschaft. Ihre Logos prangen auf Maschinen, Großgeräten und Fabrikgebäuden. Jeder kennt sie, doch Assoziationen und Emotionen wecken sie leider kaum. Marke bedeutet bei ihnen oft nur Bekanntheit und Tradition. Dabei könnte eine starke Marke auch für Großunternehmen Großartiges leisten: Sie besitzt die Kraft, Firmen in die Zukunft zu führen, indem sie Firmen als Kompass in der Transformation dient, Mitarbeitende motiviert, internationale Talente anzieht und den „Change of business and culture“ symbolisiert.
Warum also erkennen deutsche Industriemarken das Potenzial ihrer Marke nicht?
Das Märchen von der Rationalität.
Nobelpreisprämierte Forschung hat den Einfluss von Emotionen auf Kaufentscheidungen von Menschen schon vor längerer Zeit nachgewiesen. Jüngste Datenauswertungen, etwa die von Les Binet und Peter Field, beschreiben die emotionale Wirkung von Marken gerade auch im B2B-Bereich. Dieses Wissen scheint jedoch in der Welt der deutschen Industriemarken noch nicht angekommen zu sein. Die betroffenen Branchen folgen weiterhin dem Mythos der totalen Rationalität: Nicht Menschen mit Emotionen entscheiden und vergeben Aufträge, sondern Ingenieure und Kaufleute. Für sie zählt, was mess- und steuerbar ist.
In Wirklichkeit aber treffen Menschen in jedem Unternehmen ständig Entscheidungen auf Basis unvollständiger Informationen und eigener Emotionen. Erfahrungen, persönliche Eindrücke und Bauchgefühl sind Grundlage des Handelns – ob bei der Zuliefererwahl, bei Akquisitionen oder wenn Top-Positionen besetzt werden sollen.
Offensichtlich aber gehen die wenigsten Entscheidungsbefugten in deutschen Industrieunternehmen davon aus, dass sich auch ihre Kundinnen und Kunden bei Kaufentscheidungen von Emotionen leiten lassen. Das Märchen von der Rationalität verhindert, dass sie ihre eigenen Marken als wertvolles strategisches Asset wahrnehmen – als ein sehr wirkungsvolles Instrument, das den Kauf von Produkten und Leistungen beeinflussen kann.
Marketingvorstände und CMOs sind deshalb in der deutschen Industrie entsprechend selten anzutreffen. Kaum ein Vorstand kümmert sich strategisch und inhaltlich um die eigene Marke, nur wenige deutsche CEOs sehen ihre Industriemarke als Führungsinstrument und Treiber für die Transformation ihres Unternehmens. Stattdessen ist das Marketing dem Vertrieb untergeordnet, und die Verantwortung für die Marke obliegt den Beauftragten für Corporate Identity.
Dabei ist völlig klar: In Unternehmen, in denen das Marketing keine Wertschätzung genießt und wo die Marke von Vorstand oder Geschäftsführung nicht als wichtiges Instrument erkannt wird, da stehen die Chancen schlecht, den „Wumms“ zu erzielen, den starke Marken entfachen können. Schade eigentlich.